Im Feuilleton der FAZ fand sich vor einigen Tagen der schöne Artikel Wörter sind die Wegwerfartikel unserer Zeit. Autor Marcus Jauer fasst darin eine Rede von David Gelernter (Wikipedia) zusammen, der ab und an auch selbst für die FAZ schreibt.
Er hat in Berlin nun eine Rede für die berliner lektionen gehalten und hält darin ein flammendes Plädoyer für das Handschriftliche:

[…] Worte sind für Gelernter Produkte eines Arbeitsprozesses, der darin besteht, sie aus dem Kopf aufs Papier zu bringen. Schreiben heißt für ihn denken lernen, lesen, nachdenken lernen […] Heute stehen die Dinge viel häufiger so da, wie sie gedacht wurden […] Das Schreiben trainiert das Denken nicht mehr und vermindert so den Wert des Wortes. […]

Die Zukunft malt er nicht gerade rosig:

[…] Nach David Gelernter sehen wir einem Kollaps der Schriftsprache entgegen, was nichts anderes bedeutet, als dass auch die Art des Denkens, deren Gefäß sie ist, kollabieren wird. Übrig bleiben jene Zeichen und Symbole, die aus der Kultur des ständigen Abgelenktseins und Unterbrochenwerdens hervorgegangen sind und als Gefäße, will man sie denn überhaupt so nennen, doch eher nur Meinungen als Gedanken, eher Stimmungen als Gefühle transportieren, […]

Da scheinen die Tablet Computer in meiner Umfrage das kleinste Problem zu sein.
Dieser Text bestätigt mir, dass ich mit dem Gefühl nicht alleine bin, dass handschriftliches Schreiben mehr Kontemplation und Konzentration mit sich bringt, als jedwede Art von digitalem Schreiben. Es ist nicht nur die viel beschworene Haptik. Es ist auch der Zwang, sich im Denken zu entschleunigen, denn die Hand kommt dem Gedanken nicht nach. Und diese Entschleunigung macht die Gedanken klarer und hilft sich zu strukturieren.

Auf der Homepage der berliner festspiele findet ihr den Mitschnitt vom 26. Februar 2012 auf Englisch und in der Simultanübersetzung (ca. 80 min).

Und wer Handschrift erfahren möchte, der sollte damit gleich heute am Tagebuchdienstag beginnen.

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5 Antworten
  1. Susanne sagt:

    Mit der Hand schreiben und mit der Hand schreiben sind zweierlei:Richtig ist sicher, dass das Schreiben erzählender oder reportierender Texte durch die Langsamkeit mehr Tiefe und mehr Struktur in die Gedanken bringen kann, nicht muss. Aber was schreiben denn die meisten von uns mit der Hand? Einkaufszettel, kurze Notizen, einen Zettel mit einer Info für eine Pinnwand oder die Bürotür (Bin gleich wieder da).
    Ich teile den Pessimismus von Gelernter nicht. Alle, die längere Texte schreiben, hacken sie auf der Tastatur. Aber auch dort entstehen tiefsinnige und kluge Texte, sonst wären all die großartigen Artikel, Bücher, Essays etc. nie geschrieben worden.
    Der Siegeszug von Tablets und Computer- und Smartphonetastaturen wird allerdings dazu führen, dass nur noch wenige Menschen eine ausgeschriebene und schöne Handschrift haben. Denn die bringt einem nur dauernde Übung. Aber auch krakelige Buchstaben bedeuten noch lange nicht den Untergang des Abendlandes.

  2. Antje Radcke sagt:

    Wie groß die Bedeutung der Handschrift für die kognitive Entwicklung ist, wird allein dadurch deutlich, dass wir einen von uns persönlich handgeschriebenen Einkaufszettel ruhig auf dem Küchentisch vergessen dürfen, ohne beim Einkaufen allzu viel zu vergessen. Mit einem in die Tastatur gehackten Einkaufszettel ist das in der Regel deutlich schwieriger.

    Dennoch glaube ich, dass die Handschrift in Zukunft tatsächlich auch nur genau dafür noch genutzt wird: Zum Schreiben von Einkaufszetteln u.ä. (wenn überhaupt). Das fände ich nicht weiter schlimm, wenn stattdessen die Handschrift (und vor allem das Erlernen der Handschrift) von vornherein verstanden wird als eine Art künstlerischer Ausdruck der eigenen Gedanken, Phantasie, Wünsche oder Erlebnisse. Ich kann mir gut vorstellen, dass Kinder mehr Freude am Handschreiben entwickeln würden, wenn die Schrift nicht als notwendiges Übel (das man später sowieso nicht mehr braucht) erfahren sondern vielmehr als eine Form von Kunst.

    Wenn ich mir heute Handgeschriebenes anschaue, dann handelt es sich dabei fast ausnahmslos um „Kunstwerke“ – auch die sorgsam zelebrierten und gepflegten Notizbücher sind für mich mehr bewusster Ausdruck der Persönlichkeit als Notwendigkeit. „Echte“ Notizbücher (als Vorstufe eines größeren Projekts) anlegen kann heute niemand besser als der Computer.

  3. Christian sagt:

    @Susanne, @Antje: danke für eure Meinungen. Ich bin mir nicht sicher, ob man Handschrift als etwas rein Künstlerisches auffassen sollte. Schreiben mit der Tastatur fällt mir schwer, wenn ich anfangs ungeordnete Gedanken niederschreiben muss. Das geht mir mit Stift leicher von der Hand. Aber das ist wahrscheinlich auch Geschmacks- und vielleicht Gewohnheitssache.

  4. Himbeer sagt:

    Die Langsamkeit der Handschrift sorgt dene ich tatsächlich für mehr Reflexion beim Schreibprozess. Das kann von Vorteil sein, z.B. kann es dazu dienen, den Schreibstil zu verbessern oder einen Gedanken besser zu hinterfragen. Ich habe festgestellt, dass es jedoch – für mich zumindest- einfacher ist eine Schreibblockade zu lösen, wenn ich auf der Tatstatur einfach erst mal drauflostippe. Die Vorrausetzung dafür ist natürlich, dass man schnell Tippen beherrscht und nicht auf das Zzweifingersuchsystem angewiesen ist. Die Maschinegeschriebenen Zeilen kann ich einfacher ändern, kann sie füllen…

  5. @ Christian: Das muss nicht unbedingt Geschmackssache sein. Es gibt wirklich Menschen, denen das Bedienen eines Stifts leicher fällt, weil die Psychologie im Gehirn dieses Menschen eine wichtige Rolle spielt. Man ist so fixiert auf etwas, dass es einem viel leicher fällt, es nach einer gewissen Zeit zu nutzen als viele andere Dinge.

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