Die Katholiken haben nicht nur die Gottesmutter Maria, nicht nur den Papst, den Bischof von Limburg, sie haben auch die Beichte. Den Protestanten hingegen fehlt diese Entlastung durch das „te absolvo“ (die Freisprechung von Sünden), sie müssen das mit ihrem Tagebuch abmachen. Das behauptet zumindest der Autor Michael Maar in seinem jüngst veröffentlichten Buch Heute bedeckt und kühl: Große Tagebücher von Samuel Pepys bis Virginia Woolf(Werbelink). S. 75:

[…] Der Katholik hat das Sakrament der Beichte, der Protestant hat sie nicht. Wem aber sollte er Rechenschaft ablegen, wem seine Sünden anvertrauen, seine Gewissensfragen, seine Zweifel? Das Tagebuch als Beichtstuhlersatz – das trifft gewiss nicht alle seine Funktionen, aber doch eine kardinal wichtige. […]

Michael Maar mutmaßt, dass auch heutige Tagebuchschreiber – ob gläubig oder nicht – ihr Tagebuch an ein eine höhere Instanz richten, von der sie Klärung oder Entlastung erwarten. S. 76:

[…] Und wo der Glaube fehlt, kann das Tagebuch für das Gebet eintreten und es ersetzen […]

Ein interessanter Gedanke! Bei weitem nicht der einzige. Unterhaltsam und klug führt uns der Autor durch ein buntes Sammelsurium von Motiven und Spielarten des Tagebuchschreibens und lässt die Diaristen ausiebig selbst zu Wort kommen. So gewährt er uns spannende Einblicke in das – seiner Ansicht nach – zeitlose Bedürfnis der Menschen, schriftlich mit sich selbst ins Gespräch zu kommen. Und er schließt mit der tröstlichen Botschaft (S. 231):

[…] Tagebücher, wenn sie nicht heucheln, zeigen uns, wie wir als Sündensäcke doch alle Brüder und Schwestern sind. Das ist bis heute ihr pietistischer Kern. Du bist nicht allein – das ist die tiefste Botschaft, die uns aus Tagebüchern entgegenschallt.[…]

Wer gerne Tagebuch schreibt und ebensogerne in anderen Tagebüchern liest, wird viel Vergnügen haben mit diesem Buch! Kommentare zum Buch aber auch zum Thema Gebetsersatz herzlich willkommen! Vergelt´s Gott!

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2 Antworten
  1. Lara sagt:

    Nur zufällig bin ich über diese Blog gestolpert und lese nun schone eine ganze Weile interessiert über alle möglichen Themen.

    Nun kann ich (als Theologe) mich gerade doch nicht ganz zurückhalten und muss eine Bemerkung loswerden: Doch! Auch bei den Protestanten gibt es die Beichte. Sie ist allerdings kein Sakrament und damit keine Pflicht. Dies hat wohl auch dazu geführt, warum sie bedauerlicher Weise in Vergessenheit geraten ist. Nichts desto trotz können auch Protestanten sich vom Pfarrer (oder einem anderen Gläubigen) von ihren Sünden lossprechen lassen.

    Für mich persönlich ist das Tagebuch ein guter Weg zur Beichte. Denn es hilft, die eigenen Gedanken vorher zu sortieren. Und manches wird einem erst beim Schreiben bewusst.

    Ich verstehe aber auch den Gedanken, dass für diejenigen, die zur Beichte gehen und/oder beten, das Tagebuchschreiben ein befreiender Ersatz sein kann.

  2. Lara sagt:

    Ein nochmaliges Lesen des Beitrags vor dem „Abschicken“ wäre in diesem Fall wohl hilfreich gewesen. Ich entschulidge mich für den Satzbau und ergänze wenigstens im letzen Satz ein „nicht“.

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