Auch und gerade im Neuen Jahr, dem Jahr des Pferdes, das laut Chinesischem Horoskop, ein Jahr der Ruhelosigkeit und Bewegung ist, sind Tagebücher ein bewährtes Mittel, sich zu zentrieren und das Karussell ein paar Seiten lang anzuhalten.
Das Schreiben über sich und das Leben hat Tradition. Ein schönes Zitat des Philosophen Georg Christoph Lichtenberg, 1742-1799 ist mir kürzlich vor die Füße gefallen, und ich möchte es gern mit Euch teilen. Lichtenberg, der seine Gedankensplitter in ein Tagebuch – nicht zu vergleichen mit dem BILD-Tagebuch einer Sylvie Meis … –, ein sogenanntes Sudelbuch, notiert hat. Da er Philosoph und Naturwissenschaftler war (und kein Model oder Moderator), sind seine Sudelbücher eine Ansammlung von Reflexionen über sämtliche Wissensgebiete, geprägt von kritischer und ironischer Grundhaltung; auch eine Art, Tagebuch zu führen!

»Man soll alle Menschen gewöhnen von Kindheit an in GROSSE Bücher zu schreiben, alle ihre Exercitia, in hartes Schweinsleder gebunden. Da sich kein Gesetz daraus machen läßt, so muß man Eltern darum bitten, wenigstens mit Kindern, die zum Studiren bestimmt sind. Wenn man jetzt Newtons Schreibbücher hätte! Wenn ich einen Sohn hätte, so müßte er gar kein Papier unter Händen bekommen, als eingebundenes, … besudelte er es, so würde ich mit väterlicher Dinte dabey schreiben: dieses hat mein Sohn anno * den *ten besudelt … Der Rand müste gebrochen werden, und auf einer Seite immer die Umstände und zwar sehr unpartheyisch geschrieben werden. Was für ein Vergnügen würde es mir seyn jetzt meine Schreibbücher alle zu übersehen! Seine eigne Naturgeschichte! Man sieht jetzt immer was man ist und sehr schwach was man war.«

(Georg Christoph Lichtenberg, Die Aphorismen-Bücher. Hrsg. v. Albert Leitzmann. Frankfurt: Haffmans bei Zweitausendeins 2005)

In diesem Sinne wünsche ich allen ein bewegtes 2014 und viel Spaß beim Sudeln der eigenen Naturgeschichte in ledergebundene Bücher oder auf loser Blattsammlung oder in bestickte Hefte oder, oder, oder…!

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Kategorie: Tagebuch
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2 Antworten
  1. T. M. sagt:

    Die Idee der „Sudelbücher“, in denen von den ersten Kritzeleien im Kindesalter an alles aufgezeichnet wird, finde ich wunderbar, auch wenn ich bezweifle, dass sie wirklich praktikabel ist (zumindest heutzutage).

    Ich führe seit einigen Jahren ein Tagebuch (seit dem 3.12.2010 um genau zu sein), und ich bedauere irgendwie, dass von der Zeit davor, insbesondere aus meiner Kindheit, fast gar nichts mehr vorhanden ist. Es gibt so viel, an das ich mich wenn überhaupt nur noch sehr vage erinnere, und wo ich gerne wüsste, wie es genau abgelaufen ist. Aber es ist nirgends festgehalten, auch weil es damals alltäglich erschien.

    Ich weiß zwar noch grob, dass ich mindestens einmal in meiner Kindheit oder Jugend für eine kurze Zeit auf losen Blättern Tagebuch geführt habe, doch davon ist leider nichts erhalten. Dass ich es davor vermutlich schon einmal versucht habe, kann ich nur noch daraus schließen, dass mein aktuelles Tagebuch „Tagebuch 3“ heißt.

    Seit dem 3.12.2010 ist aber fast alles erhalten (größtenteils mittlerweile im Deutschen Tagebucharchiv in Emmendingen, wo ich einmal im Jahr nach dem Rechten sehe), mittlerweile 23 kleine Kladden, nur die 11. habe ich unglücklicherweise verloren.

    Wobei das neue Jahr einige Veränderungen gebracht hat: Da ich zeitweise nur noch selten ins Tagebuch schrieb, habe ich beschlossen, im neuen Jahr (d. h. eigentlich schon am Ende Dezember, da ich nicht so lange warten wollte), ein paar neue Möglichkeiten auszuprobieren. Da die langen Berichte über zurückliegende Ereignisse, die ich zeitweise gerne geschrieben habe, sich nur schlecht von Hand in die kleinen Bücher schreiben ließen, habe ich beschlossen, diese am Computer zu schreiben. Da ich aber auf das geliebte Papier nicht verzichten möchte, drucke ich alles aus und hefte es ab. So passen auch handschriftliche Seiten dazwischen.

    Schließlich habe ich, um auch wieder mehr über alltägliches zu schreiben, begonnen, in einem Taschenkalender (A5) zu jedem Tag ein oder zwei Sätze zu notieren.

    Da ich die Kladden dann doch nicht aufgeben konnte, führe ich zur Zeit 3 verschiedene Formen von Tagebüchern mehr oder weniger parallel. Ich glaube zwar nicht, dass ich das auf Dauer durchhalte, aber da ich noch nicht entscheiden kann, welches ich davon dauerhaft beibehalte, bleibt es erstmal so.

    (Oh je, wieder so ein langer Kommentar. Ich hoffe, ich langweile hier nicht. Es ist nur so, dass man, insbesondere als Mann, nicht häufig Gelegenheit hat, das Thema „Tagebuch“ zur Sprache zu bringen.)

  2. Udogi-Sela sagt:

    Zum ersten Mal kam ich in den achtziger Jahren mit Lichtenbergs Aphorismen in Berührung und ich war fasziniert. So würde ich auch gerne schreiben wollen…

    Ich schreibe seit Ende der siebziger Jahre Tagebuch, mal mehr, mal weniger, und nun, als Opa lasse ich schon mal meinen ältesten Enkel in mein Tagebuch kritzeln, genau so, wie Lichtenberg es vorschlägt.

    Ich finde es im Nachhinein schade, keine durchgängigen Aufzeichnungen zu haben, aber oft habe ich als im Arbeitsleben stehend keine Zeit dafür, und, wenn ich denn mal Zeit habe, fehlt mir manches Mal die Lust.
    Dann denke ich: Wofür eigentlich? Ich bin ja zu nichts verpflichtet und drängen lasse ich mich nicht, schon gar nicht von mir selbst.
    Ich bin mal gespannt, ob ich meine Enkel dazu bewegen kann, Tagebuch zu führen.

    @ T. M. : Ich schreibe auch des Öfteren in mehrere Bücher parallel und denke dabei, warum kritzelst (sudelst) du nicht chronologisch ein Buch nach dem anderen voll, egal was es ist…

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