Leser Thomas Teepe schrieb mir neulich eine höchstinteressante Beschreibung seiner Arbeitsweise mit Karteikarten. Er nutzt sie als Werkzeug, um sein Denken zu organisieren und Gedanken weiterzuentwickeln. Ich fand das so interessant, dass ich ihn fragte, ob er sich eine Veröffentlichung im Notizbuchblog vorstellen kann. Er stimmte dankenswerter Weise zu: hier seine Kurzzusammenfassung:

[…]
Zur Hardware: Ich benutze einen A5-Karteikasten im Querformat, Ringbuchpapier kariert in A5, und einen Druckbleistift samt Radiergummi.

Dazu habe ich einen einfachen Zettelhalter aus Pappe gebastelt. Auf dessen Leisten lege ich in einer Schreib-Sitzung neue oder gerade aktuelle Zettel ab – so habe ich ziemlich viel Material im Überblick (locker 20 Zettel), und das Zugreifen ist einfacher als aus dem Karteikasten selbst.
Außerdem kann ich die Zettel passend anordnen, wenn sie in einem geeigneten (meist hierarchischen) Verhältnis zueinander stehen.

Ich sehe beim Karteikasten einen erheblichen Vorteil gegenüber einem Notizbuch: Es fällt leichter, schon vorhandenes Material im Blick zu haben und daraus neue Ideen zu entwickeln – im Notizbuch braucht es dafür ein umständlicheres Blättern. Und: Neues Material lässt sich dort einfügen, wo es hingehört.

Die Arbeit auf Papier hat für mich gegenüber der Arbeit am Computer zig Vorteile: Ich werde viel viel weniger abgelenkt, die Motorik des Schreibens passt mir besser, und die Verbindung von Worten und Bildern gelingt mir nirgends so leicht wie auf Papier.
Außerdem arbeite ich beruflich am Bildschirm – irgendwann reicht es mir.

Die Zettel nummeriere ich in einem Dezimalsystem, mit Nummern wie 12, 12.1, 12.1.1 usw. Die Zettel sortiere ich im Karteikasten nach den Nummern, mit den höchsten Nummern vorn. Die meist älteren Zettel am Ende des Kastens wandern gelegentlich in ein Archiv.

Verweise zwischen den Zetteln mache ich mit Hilfe der Nummern.

Daneben gibt es mit eigenen Kartei-Reitern kleinere Zettel-Abteilungen mit Sammlungen von Themen (mit Zettel-Nummern T1, T2 usw.) und von spontanen Ideen.

Wenn ich Zettel oder Zettelgruppen entnehme, setze ich einen Platzhalter aus Karton an ihre Stelle – damit fällt das Rücksortieren leicht.

Die Zettel unterteile ich in der Mitte durch eine senkrechte Linie. Dadurch kann ich zwischen zwei Schreib-Spalten hin- und herwechseln, was ich insbesondere bei Hindernissen sehr nützlich finde – wenn ich links nicht weiterkomme, kann ich rechts nach den Ursachen fragen.
Nebenbei: Eine „größere“ Variante dieses Layouts habe ich früher über Monate mit einem Schreibblock in A3 benutzt: Ich habe das Blatt im Querformat in 6 Spalten unterteilt, habe in Spalte 1 die Notizenblöcke 1a, 1b usw. genannt und konnte dann mit Bezeichnungen wie „12:3b“ einen Verweis auf die entsprechende Stelle auf Seite 12 machen.
Die eigentlichen Notizen mache ich meist im Telegramm-Stil (mehr als Stichworte, weniger als komplette Sätze, oft hierarchisch eingerückt) und gelegentlich in Grafiken.

Daneben gibt es die „Software“ meines Schreibdenkens:
Das sind im wesentlichen Formulierungen, die mir bei der Steuerung meines Denkens helfen sollen, oft abgekürzt durch Buchstaben:
Q = „Welche Fragen kann ich hier stellen?“ „Wonach sollte ich hier fragen?“
P = „Wo liegt hier das Problem?“ „Wo hakt es hier?“
U = „Was macht mich hier unzufrieden?“
R = „An welchem Punkt sollte ich erneut ansetzen?“ (Das R steht hier für Repeat.)
Die für mich nützlichsten Werkzeuge haben mit Reflexion zu tun – was habe ich bislang gedacht, und wie komme ich hier zu weiteren Einsichten und Fortschritten?

Daneben benutze ich weitere Werkzeuge für die Zerlegung und die Konstruktion von Ideen, etwa Kreativitätstechniken wie SCAMPER – hier versuche ich, durch Modifikationen wie Substituieren, Combinieren, Adaptieren, Maximieren usw. neue Ideenfunken aus einem Gegenstand zu schlagen.

Ich sammle diese Werkzeuge wiederum auf einem separaten Satz von Zetteln, und vergegenwärtige sie mir zu Beginn einer Schreib-Sitzung.

Ältere Zettel schaue ich von Zeit zu Zeit durch und mache Ergänzungen, Verweise oder Gegendarstellungen – bei Bedarf auf neuen Zetteln.

Wenn ich das Ganze auf einen Slogan bringen sollte, unabhängig von allen Varianten der technischen Details:

Nachdenken funktioniert bei mir am besten als Schreibdenken, und Schreibdenken funktioniert bei mir am besten als fragen-geleitete Verkettung von Mikro-Essays.“ […]

(Hinweis: das folgende Foto stammt aus dem Artikel Mind Papers – ein Karteikartenkonzept von X17)

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9 Antworten
  1. Stefan sagt:

    Das finde ich toll von Thomas, das er seine Methode hier vorstellt.
    So kann man sich einige Ideen (oder alles :-) ) ausleihen und probieren. Für mich einer der interessantensten Artikel in letzter Zeit. Von so vielen interessanten Artikeln, lieber Christian :-).

  2. Matthias sagt:

    Toll!
    Es gibt übrigens schon einen Beitrag über Karteikarten hier im Blog:
    http://www.notizbuchblog.de/2014/10/20/mind-papers-ein-karteikartenkonzept-von-x17/

    Und es gibt sogar ein Buch: MbKK-Management by Karteikarte.

  3. Anja sagt:

    … das erinnert mich in weiten Teilen an das Zettelkasten-System des Soziologen Niklas Luhmann. Bereichert um einige schöne Ideen…

  4. Mama sagt:

    es hat mir gut gefallen!

  5. Andreas Brüggenkamp sagt:

    Also diese Methode scheint mir gerade für Teams sehr gut geeignet. Ich glaube gerade in der Zusammenarbeit mit mehreren Personen würde diese Art der Ideen-Sammlung sich sehr gut in den Alltag integrieren lassen.

  6. Anago sagt:

    Eine viel versprechende Idee und dennoch habe ich etwas Schwierigkeiten, mir die praktische Anwendung des Systems tatsächlich vorzustellen.
    Gibt es ein (fiktives) Foto-Beispiel, insbesondere für den Gebrauch der „Software“, sprich wie das QPUR in einem Beispiel zur Anwendung kommt oder kommen sollte?

  7. Thomas Teepe sagt:

    @Anja: Es sollte ein kurzer unakademischer Beitrag werden, und deshalb fehlen Angaben zur Herkunft von Ideen – ich wollte mich keinesfalls mit fremden Federn schmücken.
    Natürlich ist Luhmann der Riese, von dessen Schultern ich ständig runterfalle;-)

  8. Thomas Teepe sagt:

    @Anago: Gewöhnlich schreibe ich auf einem neuen Zettel zuerst in der linken Spalte eine Überschrift und dann eine Sammlung von Ideen auf. Dann schreibe ich – oft in der rechten Spalte – z.B. „P“ als Kürzel für die Frage „Wo hakt es hier?“ auf und sammle darunter Hindernisse und Ungereimtheiten. Daran können sich dann wieder Lösungsideen oder weitere Fragen anschließen. Die Entscheidung für „P“ oder „Q“ oder anderes treffe ich meist intuitiv.
    Fast immer muss ich mit Fragen mehrfach nachfassen, bis ich zu einer neuen Einsicht komme – und gelingen tut es natürlich nicht in jedem Fall.

    Ich sehe hier eine lose Analogie zu einem Flaschenzug – man versucht, die Beschränkung der (Erkenntnis-)Kraft durch Ausdauer zu kompensieren und bedient sich dabei einer einfachen Maschine.

  9. Anago sagt:

    @ Thomas: Herzlichen Dank für die ergänzenden Hinweise und für die QPUR-Idee an sich.

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