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Leser Gerd, eine zuverlässige Quelle für tolle Linktipps rund um das Thema „Schreiben“, hat mich auf den interessanten Artikel Leere beim Schreiben: Das weiße Blatt aufmerksam gemacht. Der Autor denkt darüber nach, wie sich die Gedanken beim Schreiben formen. Er sieht Analogien bei der freien Reden, wo sich die Gedanken oft auch nach und nach formen und „ein Wort das andere gibt“. Natürlich ist das Schreiben nicht so spontan und kann auch wieder korrigiert werden, gerade in Zeiten des digitalen Schreibens.
Dennoch ist das Dahinfließen der Handschrift ein Prozess, an dessen Anfang das Ende nicht immer ganz klar ist:

Es gibt – nach wie vor – ein Schreiben, durch das sich die Gedanken überhaupt erst im Prozess des Schreibens entwickeln.

Dabei spielt im Gegensatz zur Rede der Klang der Worte nur beim Stillen lesen eine Rolle, ansonsten aber auch die Worte, die als Schrift visualisiert sind:

Wenn der Prozess des Schreibens selbst kreativ ist, dann weiß man in dem Moment, in dem man den ersten Satz formuliert, nicht,wie der letzte Satz lauten könnte. Schreiben in diesem avancierten Sinn heißt nicht, Gedanken, Argumente, Überlegungen, Theorien in eine angemessene sprachliche Form zu bringen, sondern im Vertrauen auf die mögliche Eigendynamikdes Schreibens darauf zu bauen, dass aus dem Fortschreiben der Wörter die Gedanken und Ideen überhaupt erst entstehen

Er schließt den Text mit der Betrachtung, dass Schreiben heute eher unter ökonomischen Gesichtspunkten betrachtet wird und nicht mehr so sehr als linearen Prozess. Er wünscht sich, dass diese Form des kreativen Schreibens, die zusehends in Vergessenheit gerät, nicht verlernt wird.

Ein interessanter Text, in dem man sich häufig wiederkennt und der viele Aspekte des eigenen Schreiberlebnisses treffend formuliert.

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Tagebücher leiden unter der Hitze. Das Hirn ist träge, die Gedanken krümeln sich durch die Windungen. Das Leben, der Alltag, die Geschehnisse – sie dümpeln dumpf vor sich hin. Was soll man da bitte aufschreiben?! 
In Zeiten von Umbruch oder heftiger emotionaler Bewegungen fließen die Worte schwallartig aufs Papier bzw. in die Tasten. Aber bei Stillstand? Was dann? Lieber in den Biergarten oder ziellos im Netz surfen?

Meistens enden ambitionierte Tagebuchvorhaben, wenn das Leben scheinbar unspektakulär verläuft und die Einträge an „Liebes –Tagebuch-heute-war-wieder-nichts-los“ erinnern. Schade eigentlich. Denn auch und gerade dann, wenn nichts Dramatisches passiert, steigen Bläschen aus dem Unbewussten an die Oberfläche. Aber nur dann, wenn man ihnen eine Chance gibt.

Zum Beispiel durch die Konzentration auf den Moment. Auf das, was jetzt gerade wahrnehmbar ist. Ohne Wahrnehmung wird das Schreiben zur leeren Hülle. Also wahrnehmen, was die Sinne anbieten. Den Geruch von Hitze oder den Moment nach dem Gewitter. Wie der Duft von nassem Hund in die Nase steigt, wie der Asphalt sein Aroma aus Staub, Schlamm und Befahrenwerden absondert. Wie Frösche den Abend einquaken, wie die offenen Fenster das Leben in den Wohnungen nach draußen twittern. Gelächter, Tellergeklapper, Fernsehgeräusche, Liebesstöhnen, Erziehungsmaßnahmen aus dem Untergeschoss, „wie oft habe ich dir gesagt … jetzt ist aber Schluss … du lässt das jetzt, Jonas …?!“ usw. usf. . 
Dann der Blick auf den Himmel, der sich rötlich färbt, während schwarze Wolken sich davor aufbauen wie Kulissen im Theater. Die Himmelsbühne. Immer was los draußen. Dann der Blick nach innen. Ein Atemzug. Noch einer, stimmt, ganz vergessen, den ganzen hitzigen Tag lang die Luft angehalten. Warum eigentlich? Was macht es so schwer, unter Druck weiterzuatmen? Woher kenne ich das? Ach ja, ich erinnere mich …

Das ist der zweite Tipp für flaue Zeiten. „Ich erinnere mich“. Mit diesem Satzbeginn lassen sich Seiten füllen. Einzige Bedingung: laufen lassen. Den Satz so lange ergänzen, bis überraschende Erinnerungen aufsteigen. So wie der Geruch von nassem Asphalt.

Es gibt kein langweiliges Leben. Oder wie Sting es in einem seiner Songs ausdrückt: There is a deeper world than this…

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Kategorie: Tagebuch  Tags: , , ,

Im Feuilleton der FAZ fand sich vor einigen Tagen der schöne Artikel Wörter sind die Wegwerfartikel unserer Zeit. Autor Marcus Jauer fasst darin eine Rede von David Gelernter (Wikipedia) zusammen, der ab und an auch selbst für die FAZ schreibt.
Er hat in Berlin nun eine Rede für die berliner lektionen gehalten und hält darin ein flammendes Plädoyer für das Handschriftliche:

[…] Worte sind für Gelernter Produkte eines Arbeitsprozesses, der darin besteht, sie aus dem Kopf aufs Papier zu bringen. Schreiben heißt für ihn denken lernen, lesen, nachdenken lernen […] Heute stehen die Dinge viel häufiger so da, wie sie gedacht wurden […] Das Schreiben trainiert das Denken nicht mehr und vermindert so den Wert des Wortes. […]

Die Zukunft malt er nicht gerade rosig:

[…] Nach David Gelernter sehen wir einem Kollaps der Schriftsprache entgegen, was nichts anderes bedeutet, als dass auch die Art des Denkens, deren Gefäß sie ist, kollabieren wird. Übrig bleiben jene Zeichen und Symbole, die aus der Kultur des ständigen Abgelenktseins und Unterbrochenwerdens hervorgegangen sind und als Gefäße, will man sie denn überhaupt so nennen, doch eher nur Meinungen als Gedanken, eher Stimmungen als Gefühle transportieren, […]

Da scheinen die Tablet Computer in meiner Umfrage das kleinste Problem zu sein.
Dieser Text bestätigt mir, dass ich mit dem Gefühl nicht alleine bin, dass handschriftliches Schreiben mehr Kontemplation und Konzentration mit sich bringt, als jedwede Art von digitalem Schreiben. Es ist nicht nur die viel beschworene Haptik. Es ist auch der Zwang, sich im Denken zu entschleunigen, denn die Hand kommt dem Gedanken nicht nach. Und diese Entschleunigung macht die Gedanken klarer und hilft sich zu strukturieren.

Auf der Homepage der berliner festspiele findet ihr den Mitschnitt vom 26. Februar 2012 auf Englisch und in der Simultanübersetzung (ca. 80 min).

Und wer Handschrift erfahren möchte, der sollte damit gleich heute am Tagebuchdienstag beginnen.

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