Nach der Lektüre von Need to get focused? First go analog habe ich mich in einer Klick-dich-durch-die-Links-Orgie in den Tiefen des Internets verloren, bis ich irgendwann bei der Medienarchäologie kultureller Übertragungstechniken gelandet war, wo der Stift eine „Prothese des Menschen“ ist:

[…] Wenn zwischen Hand und Schrift keine bloße Prothese des Menschen mehr tritt, wie es der Stift für die Finger an der Hand ist, sondern eine Appartur dazwischentritt, welche die Handschrift buchstäblich übersetzt, kommt ein distanziertes, insofern medienarchäologisch faßbares Verhältnis zu Buchstaben als diskreten Elementen in all ihrer signifikanten Arbitrarität zustande. Hier findet also das Verhältnis von Medium und Übertragung – das Thema dieser Vorlesung – auf einer mikrophysikalischen Ebene statt. […]

Aber zurück. Wie das Wall Street Journal in How Handwriting Trains the Brain schreibt, belegen mehrere Studien, dass Handschrift großen Einfluss auf das Lernen und andere Gehirnfunktionen hat:

[…] Using advanced tools such as magnetic resonance imaging, researchers are finding that writing by hand is more than just a way to communicate. The practice helps with learning letters and shapes, can improve idea composition and expression, and may aid fine motor-skill development. It’s not just children who benefit. Adults studying new symbols, such as Chinese characters, might enhance recognition by writing the characters by hand […]

Es wirkt also auch bei Erwachsenen und nicht nur bei Kindern! Die Gründe für die positiven Effekte der Handschrift liegen im sequentiellen Charakter des Schreibens – man muss mehrere Linien für einen Buchstaben ziehen, statt ihn nur mit einem Druck auf der Tastatur zum Leben zu erwecken:

[…] Virginia Berninger, a professor of educational psychology at the University of Washington, says handwriting differs from typing because it requires executing sequential strokes to form a letter, whereas keyboarding involves selecting a whole letter by touching a key.
She says pictures of the brain have illustrated that sequential finger movements activated massive regions involved in thinking, language and working memory—the system for temporarily storing and managing information. […]

Am Ende des Artikels werden auch noch „Apps“ erwähnt, bei denen man die Buchstaben mit dem Finger „malen“ muss. Auch so kann man lernen. Aber ganz ehrlich: warum digital, wenn analog viel einfacher und günstiger möglich ist? Wegen des „Gamificiation“ Effekts: die Kinder meinen, das Schreiben ist ein Spiel und lernen dann angeblich lieber schreiben als bei der scheinbaren Pflichtveranstaltung „Schreiben auf Papier“.

Das Schreiben und Kritzeln von Hand wirkt auch bei mir immer wieder sehr positiv: ich werde ruhiger, konzentriere mich besser, strukturiere mich besser selbst und zwinge mich, klarer und präziser zu sein. Aber das funktioniert nicht bei jedem, wie man etwa in Why I’m Eschewing the Analog Workflow lesen kann (eschew = scheuen / meiden).

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Eine Antwort
  1. Martine sagt:

    Hallo Christian,
    das Schreiben von Hand ist nicht nur pädagogisch, sondern auch schreibpsychologisch schon deshalb interessant, weil es oberflächlich betrachtet widersprüchlich ist: Die größere körperliche und sinnliche Nähe zum eigenen Text schafft zugleich mehr Distanz und Objektivität. Daher geht der Artikel „Why I’m Eschewing the Analog Workflow“ meiner Meinung nach hier grundsätzlich nicht ganz auf. Es geht im Grunde weniger um „analog“ oder „digital“, mehr um „handschriftlich“ oder „maschinell“. Der Unterschied wiederum zwischen Schreibmaschine und Computer ist ganz anders geartet und neurobiologisch nicht sooo unterschiedlich, wie man glauben könnte.
    Liebe Grüße
    Martine

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