Archiv für » Juni 17th, 2014«

Tagebücher leiden unter der Hitze. Das Hirn ist träge, die Gedanken krümeln sich durch die Windungen. Das Leben, der Alltag, die Geschehnisse – sie dümpeln dumpf vor sich hin. Was soll man da bitte aufschreiben?! 
In Zeiten von Umbruch oder heftiger emotionaler Bewegungen fließen die Worte schwallartig aufs Papier bzw. in die Tasten. Aber bei Stillstand? Was dann? Lieber in den Biergarten oder ziellos im Netz surfen?

Meistens enden ambitionierte Tagebuchvorhaben, wenn das Leben scheinbar unspektakulär verläuft und die Einträge an „Liebes –Tagebuch-heute-war-wieder-nichts-los“ erinnern. Schade eigentlich. Denn auch und gerade dann, wenn nichts Dramatisches passiert, steigen Bläschen aus dem Unbewussten an die Oberfläche. Aber nur dann, wenn man ihnen eine Chance gibt.

Zum Beispiel durch die Konzentration auf den Moment. Auf das, was jetzt gerade wahrnehmbar ist. Ohne Wahrnehmung wird das Schreiben zur leeren Hülle. Also wahrnehmen, was die Sinne anbieten. Den Geruch von Hitze oder den Moment nach dem Gewitter. Wie der Duft von nassem Hund in die Nase steigt, wie der Asphalt sein Aroma aus Staub, Schlamm und Befahrenwerden absondert. Wie Frösche den Abend einquaken, wie die offenen Fenster das Leben in den Wohnungen nach draußen twittern. Gelächter, Tellergeklapper, Fernsehgeräusche, Liebesstöhnen, Erziehungsmaßnahmen aus dem Untergeschoss, „wie oft habe ich dir gesagt … jetzt ist aber Schluss … du lässt das jetzt, Jonas …?!“ usw. usf. . 
Dann der Blick auf den Himmel, der sich rötlich färbt, während schwarze Wolken sich davor aufbauen wie Kulissen im Theater. Die Himmelsbühne. Immer was los draußen. Dann der Blick nach innen. Ein Atemzug. Noch einer, stimmt, ganz vergessen, den ganzen hitzigen Tag lang die Luft angehalten. Warum eigentlich? Was macht es so schwer, unter Druck weiterzuatmen? Woher kenne ich das? Ach ja, ich erinnere mich …

Das ist der zweite Tipp für flaue Zeiten. „Ich erinnere mich“. Mit diesem Satzbeginn lassen sich Seiten füllen. Einzige Bedingung: laufen lassen. Den Satz so lange ergänzen, bis überraschende Erinnerungen aufsteigen. So wie der Geruch von nassem Asphalt.

Es gibt kein langweiliges Leben. Oder wie Sting es in einem seiner Songs ausdrückt: There is a deeper world than this…

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