Wie versprochen berichte ich heute von dem lang erwarteten und hier im Blog bereits angekündigten Ereignis, dem Diary Slam in Hamburg.
Für eilige Leser: Super Event! Hingehen, sich amüsieren und dazu gehören zur diary community. Jeden letzten Donnerstag im Monat im Café Aalhaus in Hamburg Altona.
Wer genauer wissen will, wie es war, liest weiter: Die Community ist, wen wundert´s, überwiegend weiblich, zwischen 20 und 30, sensibel und sozial kompetent (großer Applaus für jeden Beitrag, man rückt zusammen, weil es so voll ist, reicht die Biergläser durch). Männer, Ältere und Stoffel sind Randerscheinungen. Oder hat man sich nur so gut benommen, weil das ZDF den Abend gefilmt hat? Niemals! Tagebuchschreiber sind so.
Am besten verkörpert das Uta, die Gewinnerin des Abends. Sie schreibt bereits mit 13 in ihr Tagebuch: „Ich habe das Gefühl, dass ich mir dringend Gedanken über meine Gefühle machen muss.“ Man ahnt es schon: es geht um die Wirrungen erster Liebe. Zunächst zu einem Jungen aus England, dann aber um die Gefühle zu einem Mädchen aus der Schauspiel-AG. In diesem Alter passiert so viel! Das muss verarbeitet werden. Wo anders als im Tagebuch. In Utas Fall ist das Tagebuch eine eigenständige Person: „Entschuldige, dass ich so lange nicht geschrieben habe …“ oder: „und dann ist noch etwas passiert, du brennst ja geradezu darauf, es zu erfahren.“Auch in den anderen Beiträgen geht es vor allem um die rätselhaften Gefühlszustände von Pubertierenden, die von Nina in eine logische Ordnung gepackt werden: „a) Mama hat eine neue Beziehung b)ich habe die Haare kurz und c) ich habe einen Freund in Aussicht.“
Sogar ein Mann wagt sich ans Mikrofon und beginnt seine Lesung mit den Worten: „Ich habe eine Mission: Tagebuchschreiben ist auch etwas für Männer, vor allem in Extremsituationen.“
Überraschend für mich als Neuling der Diary-Slam-Szene – es war bereits der dritte Abend – ist die Professionalität der Vortragenden. Sie alle wissen ihr Publikum mit dramatischen Mitteln zu fesseln oder mit hemmungslosem Gekicher anzustecken. So wie bei Wiebke, die in ihrem Tagebucheintrag vom 1. Januar 1986, da war sie 13, von Lachkrämpfen geschüttelt, die Details ihres wenig aufregenden Teenagerlebens beschreibt: dass die Jungs im Nebenzimmer laut rülpsen, dass der Bus um 15.01 und nicht um 14.20 fuhr und dass der Sohn des Zahnarztes hochmütig ist.
Muss man das wissen? Muss man dafür einen Abend reservieren? Für alle, die einmal Tagebuch geführt haben bzw. es noch tun, ist es ein Muss. Mich jedenfalls haben die meisten Texte nicht nur amüsiert, sondern auch angerührt. In ihrer kindlich-jugendlichen Unbeholfenheit schimmert durch, worum es auch in der „hohen“ Literatur geht: das Leben mit all seinen Unwägbarkeiten in Sprache zu übersetzen und es damit ein Stück wägbarer zu machen.
Würdet ihr beim Diary Slam mitmachen?
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